Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
noch immer hat uns die Corona-Pandemie im Griff – und noch immer ist nicht absehbar, welche mittel- und langfristigen Auswirkungen sie auf die Wirtschaft und die Immobilienmärkte haben wird. Vieles hat sich bereits geändert, und eine Gewissheit steht: In einigen Bereichen haben wir in den vergangenen zwölf Monaten einen Katalysator für Neuerungen erlebt, wie es ihn lange nicht mehr gab.
Die Veränderung der Arbeitswelt und die zunehmende Digitalisierung von Prozessen wird sich in einigen Punkten nicht mehr umkehren. Gerade im Bürobereich treffen Unternehmen auf Grundlage neuer Strategien bereits verbindliche Entscheidungen für die kommenden 10 bis 15 Jahre. Die Pandemie, so scheint es, zeigt auch, wie wichtig beherztes Handeln im richtigen Moment ist. So wächst etwa das Kundeninteresse an energieeffizienten Gebäuden deutlich, und auch bei Gesundheits- und Komfortaspekten wie einer effektiven Belüftung ist die Sensibilität im Real Estate Management geschärft.
Dennoch bleibt die Frage: Lassen sich im aktuellen Schwebezustand überhaupt schon klare Kriterien für das „Büro der Zukunft“ erkennen? Wir haben uns für diese Newsletter-Ausgabe zumindest darum bemüht, aktuelle und zu erwartende Entwicklungen auszuleuchten und nach passenden Strategien für die Immobilienbranche zu fragen: Wo setzen Nutzer den Schwerpunkt? Bei der Kommunikation, der Anbindung des Standorts oder der Flexibilität des individuellen Arbeitsplatzes? Welche Anforderungen stellen sich langfristig angesichts der Veränderungen in der Arbeitswelt – und welche Rolle spielt die Immobilie für die Gewinnung der Leistungsträger von morgen?
Ich freue mich, dass wir einen absoluten Top-Experten für ein Gespräch gewinnen konnten: Pawel Krolikowski, Managing Director und Head of Workplace Consulting bei CBRE Germany, gewährt uns und Ihnen Einblicke in strategische Erwägungen seiner Kunden – und hebt vor allem die individuelle ‚User Experience‘ hervor, die sich zum Kernargument für oder wider eine konkrete Immobilienlösung entwickelt.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen sowie hoffentlich die ein oder andere wertvolle Erkenntnis. Halten Sie durch, bleiben Sie gesund und verlieren Sie vor allem eines nicht: die Zuversicht und die Vorfreude auf die Zukunft – denn es gibt auch in den kommenden Jahren jede Menge spannender Aufgaben im Büroimmobilienbereich.
Ihr Stefan Klingsöhr
1_In Berlin
Auf zu Neue(n) Ufer(n)
Neukölln ist einer der Zukunftsorte Berlins. Seit Jahren wird der Bezirk immer stärker aufgewertet, zieht es Young Professionals und Hochqualifizierte aus dem In- und Ausland an den südlichen S-Bahn-Ring. Stefan Klingsöhr diskutierte in einer hochkarätigen Runde über die Grundlagen für diese Entwicklung – und die nähere Zukunft.
„Lage, Lage, Lage“ – das alte Immobilienmantra gilt eigentlich noch immer. Doch gerade in den aktuellen Zeiten muss man dieses Thema differenzierter angehen. Wo liegen ungenutzte Potenziale? Welche Entwicklungen im Stadtraum sind bereits absehbar? Welche Orte sind für Mitarbeiter und Unternehmen am attraktivsten? Welche Möglichkeiten ergeben sich für attraktive Wertentwicklungen?
Was einen guten Standort im 21. Jahrhundert ausmacht, diskutierte Stefan Klingsöhr bereits mit Martin Hikel (Bezirksbürgermeister Berlin-Neukölln), Markus Buder (Leiter Gewerbliche Immobilienfinanzierung der Berliner Sparkasse) und Gabriel Khodzitski (Geschäftsführer der PREA Group) im Hotel Estrel.
In einem Punkt waren sich alle einig: Gerade Berlin bleibt dynamisch und hat Potenziale für neue Top-Adressen und Synergien, an die heute noch keiner denkt.
2_In Arbeit
Was Nutzer und Investoren vom Büro der Zukunft erwarten
Wie Menschen leben und arbeiten, hat sich wahrscheinlich noch nie so schnell gewandelt wie heute. Da darf auch das Büro nicht nachstehen, sondern muss den Wünschen der Nutzer gerecht werden. Die wichtigsten Aspekte, die sich mit einem nachhaltigen urbanen Lifestyle und den Werten der Arbeitnehmer von morgen verbinden:
Neue Kollaborations- und Arbeitsformen
Die Digitalisierung hat bereits in allen Lebensbereichen ihre Spuren hinterlassen und Abläufe flexibilisiert – doch dieser Prozess ist noch lange nicht am Ende. Arbeit wird sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stetig weiter wandeln und neue Formen annehmen. Je mehr kreative Aufgaben zu erledigen sind, desto mehr Bedeutung kommt dem Arbeitsort als Raum des Austauschs und der Inspiration zu. Anstatt den einzelnen Arbeitsplatz und ergonomische Aspekte zu fokussieren, heißt Effizienz in Zukunft auch: Hochwertige Begegnungs- und Sozialflächen, attraktive freizeitnahe Angebote, um ein möglichst fruchtbares Klima für die nächste disruptive Idee zu schaffen.
Technische Ausstattung gewinnt an Bedeutung
Das Büro wird deshalb noch an Bedeutung gewinnen, weil es mit seinen architektonischen Qualitäten und seinen Gebäudefunktionen erst die Voraussetzungen für die dynamische Teamarbeit von morgen legt. Gleichzeitig ist die Einbindung von Teammitgliedern heute rund um den Erdball möglich, gibt es grenzübergreifende Kooperationen und neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in mobilen Teams. Doch das alles ist nichts ohne ein leistungsstarkes Rückgrat: den Unternehmensstandort, in dem alle Prozesse zusammenlaufen und alle Mitarbeiter einen festen Identifikationspunkt finden. Sicherstellen kann das nur ein modernes Gebäude, das eine hochwertige Ausstattung, eine hohe Aufenthaltsqualität und vorbildliche Effizienz kombiniert.
Optimale Standorte in wachsenden Metropolen
Ein anspruchsvolles und ambitioniertes Unternehmen wählt einen Standort strategisch und mit dem Blick auf die eigene Corporate Identity: Welche Lage entspricht den Werten und Zielen des Unternehmens? Wo wohnen die zukünftigen Mitarbeiter und Führungskräfte? Welche Entwicklungs- und Wachstumspotenziale gibt es vor Ort? Eine häufige Antwort: In zentrumsnahen Lagen der Metropolen, wo die Preise noch moderat und die kreative Szene lebendig und aktiv ist. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Anbindung, die sich im Idealfall vor allem durch eine individuelle Kombinierbarkeit auszeichnet. Bahn, E-Fahrzeuge, Car-Sharing und Fahrrad – die Arbeitnehmer von morgen wollen flexibel sein und nicht an einen Verkehrsträger gebunden sein. Je vielseitiger ein Standort also angebunden ist, desto besser.
Immobilienkompetenz ist (wieder) ein entscheidendes Asset
Auch wenn sich angesichts dieser Potenziale gute Aussichten für die Entwicklung von Gewerbeimmobilien für die nachhaltige, digitale und flexibilisierte Wirtschaft der Zukunft ergeben – gleichzeitig steigen die ökonomischen Herausforderungen. Die wachsende Verdichtung in den Großstädten steigert die Konkurrenz um Flächen und Standorte. Zudem wird das Kapital nach langen Jahren der Umsatzrekorde wieder risikoscheuer, was Preisrallyes unwahrscheinlich macht. Büroprojektentwickler sollten sich daher darauf konzentrieren, ihre Kompetenzen in den zukunftsweisenden Bereichen auszubauen und auf Qualität setzen. Denn sie entscheidet maßgeblich, ob sich die Arbeitnehmer von morgen in einem Büro wohlfühlen – und damit auch über den langfristigen Erfolg des Projekts.
3_Im Interview
„Die Bedeutung der User Experience wird steigen“
Welche neuen Funktionen übernimmt das Büro im 21. Jahrhundert? Was macht Themen wie Identität und Energieeffizienz für Investoren so wichtig wie für Nutzer? Ein Gespräch mit Pawel Krolikowski, Managing Director und Head of Workplace Consulting bei CBRE.
Braucht man heutzutage noch ein Büro? Oder bringt Corona das Ende der klassischen Idee vom Office als zentralem Arbeits- und Kommunikationsort?
Wir beobachten im Vergleich zu den Jahren vor 2020 nennenswerte Veränderungen bei der Nachfrage und den Anforderungen. Aber niemand stellt den Sinn des Office als solches infrage. Die Unternehmen, die wir beraten, hinterfragen ihren Flächenbedarf, und einige Funktionen des Büros kommen auf den Prüfstand. Früher haben wir ein Unternehmen beispielsweise anhand der Abteilungen und deren spezifischen Anforderungen analysiert. Seit 2020 denken wir verstärkt in Personas, also in individuellen Nutzerprofilen. Jemand, der in einer kleinen Wohnung in der Stadt wohnt, hat eine andere Motivation ins Büro zu kommen, als ein Mitarbeiter mit einem Haus auf dem Land, in dem genug Platz ist für einen vollausgestatteten Arbeitsplatz. Die Pandemie wirkt hier als Auslöser für eine neue Ausdifferenzierung.
Welche weiteren Folgen hat dieser Wandel? Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Zukunftsfragen bei Büroimmobilien?
Die Bedeutung der individuellen Nutzererfahrung wird sicherlich weiterwachsen. Wir sehen das daran, dass die Flächenverteilung sich ändert. Bereiche für Kollaboration und Kommunikation gewinnen deutlich an Bedeutung, während der Anteil der Individualarbeitsplätze relativ zurückgeht. Es wird also in Zukunft stärker darauf ankommen, wie gut ein Büro an wechselnde Anforderungen angepasst ist. Außerdem ist zu erwarten, dass das Homeoffice zum festen Bestandteil der Arbeits- und Unternehmenskultur wird. Einer unserer Kunden hat bereits erklärt, Mitarbeiter künftig standortunabhängig einzustellen. Daraus ergeben sich neue Anforderungen an die technische Ausstattung.
Das heißt das Homeoffice während der Pandemie hat auch die Nachfrage nach konkreten Gebäudefeatures verändert?
Ja, der Bedarf nach einer guten Ausstattung ist gewachsen. Das hat mehrere Aspekte: Aktuell befinden sich noch die meisten Mitarbeiter im selben Setup, der Großteil arbeitet von zuhause, der Austausch findet virtuell statt. Das wird sich im Laufe des Jahres wahrscheinlich wieder ändern, weil ein immer größerer Teil ins Büro zurückkehrt – aber eben nicht alle. Ab diesem Zeitpunkt kommt es darauf an, ein Arbeiten auf Augenhöhe zu ermöglichen. Man braucht also beispielsweise eine Ausstattung für Hybridmeetings, die sicherstellt, dass sich dennoch alle einbringen können. Außerdem wird perspektivisch der Bedarf nach einem aktiveren Flächenmanagement steigen. Insgesamt wächst also die Bedeutung der Technologie. Das betrifft auch den Bereich Gesundheit und Komfort: Die Nachfrage nach Klimatisierung und Belüftung ist beispielsweise deutlich gestiegen – was natürlich auch mit der Gesundheitsfrage zusammenhängt.
Welche langfristigen Folgen wird die Pandemie haben?
Durch die stärkere Individualisierung wird die Belegschaft unweigerlich zum Mitgestalter der Büros. Unternehmen werden das soweit wie möglich nutzen, um ihren Flächenbedarf zu optimieren. Man muss das aber mit Vorsicht betrachten: Sollte sich herausstellen, dass Arbeitnehmer weniger produktiv sind, wenn sie im Homeoffice arbeiten, kann sich das schnell wieder umkehren. Grundsätzlich sind heute getroffene Entscheidungen in dieser Hinsicht aber schon relativ langfristig, schließlich schließt man auch einen Mietvertrag mit neuem Flächenbedarf für fünf oder zehn Jahre. Entscheidend bleibt dabei aber natürlich die ökonomische Perspektive: Was sich lohnt, wird beibehalten, was die Kosten steigert und die Risiken erhöht, wird zurückgenommen.
Ein weiteres wichtiges Zukunftsthema sind Klimaschutz und Energieverbrauch: Beobachten Sie schon eine gestiegene Nachfrage nach energieeffizienten Gebäuden?
Perspektivisch wird Nachhaltigkeit zum Kernthema bei Gewerbeimmobilien werden, wir beobachten eine steigende Nachfrage. Man muss das allerdings differenzieren: Internationale Klienten und solche mit einem professionellen Corporate Real Estate Management fragen zum Teil schon ausschließlich zertifizierte Immobilien nach. Kleinere, lokale Unternehmen haben das Thema noch nicht verinnerlicht. Gerade beim Bau wird dieses Thema aber schnell an Bedeutung gewinnen – schließlich müssen Projektentwickler so komplex bauen, dass möglichst viele Veränderungspotenziale bereits abgedeckt sind.
Bildnachweis: CBRE und Nastuh Abootalebi auf Unsplash
4_Im Detail
Wie Klima und Wertentwicklung zusammenwirken
35 Prozent. So hoch ist der Anteil des Immobiliensektors am deutschen Primärenergiebedarf. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor die der Klimawandel die gesamte Gesellschaft stellt, muss und wird sich auch im Bereich der Gewerbeimmobilien einiges bewegen. Doch die Suche nach technischen und wirtschaftlichen Lösungen für klimaverträgliche Immobilien hat gerade erst begonnen. Welche Schwerpunkte wird die Industrie setzen? Was fragen zukünftige Nutzer nach? Klar ist nur: Es wird einer Kombination verschiedener Maßnahmen bedürfen, um die notwenige Transformation zu erreichen. Folgende Aspekte dürften die zukünftige Entwicklung maßgeblich mitprägen:
These 1: Zertifizierungen werden zum Standard
Die Vorgaben zur Dokumentation und Information, die sich aus der EU-Offenlegungsverordnung ergeben, sind nur systematisch zu bewältigen. Weder auf Projekt- noch auf Unternehmensebene dürfte es wirtschaftlich darstellbar sein, separate Strukturen zur Überwachung aller relevanten Prozesse und Lieferketten aufzubauen. Der einzig gangbare Weg wird deshalb im allergrößten Fall eine Zertifizierung werden. Nur ein vertrauensstiftender – und sich sukzessive weiter verbessernder – Referenzrahmen gibt Nutzern, Immobilienunternehmen und Investoren die notwendige Sicherheit. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass die Zertifizierung von Gewerbeimmobilien bereits in wenigen Jahren nicht mehr ein Add-On-, sondern ein Standardfeature jeder professionellen Projektentwicklung sein wird.
These 2: Erreichbarkeit schlägt Prestige
Zusätzliche Abgaben auf Treibhausgasemissionen werden auch das Verkehrsverhalten in den kommenden Jahren weiter verändern. Der motorisierte Individualverkehr wird abnehmen, während die Mobilität der Menschen durch die Flexibilisierung der Arbeit kontinuierlich zunimmt. Für die strategische Standortwahl werden Unternehmen deshalb zusehends von der Konzentration auf prestigeträchtige Adressen abrücken und die individuelle Erreichbarkeit durch Kunden und vor allem Mitarbeiter in den Fokus nehmen. Eine gute multimodale Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und die etwa in Berlin großräumig geplanten Fahrradwegtangenten wird so zu einem zentralen Kriterium werden – ebenso wie die unmittelbare räumliche Nähe zu einem möglichst großen Pool an Fachkräften.
These 3: Energieverbrauch wird ein K.O.-Kriterium
Das Ziel einer schnellen und dauerhaften Reduktion der Emissionen wird sich an einem weiteren Punkt noch direkter auf die wirtschaftlichen Strategien auswirken: Je stärker der CO2-Preis die Energiekosten steigen lässt, desto größer wird deren Anteil an den Kosten für einen Unternehmensstandort. Der entsprechende Kipp-Punkt wird daher relativ schnell erreicht sein – und nicht energieoptimierte Immobilien somit zum Risikofaktor für die langfristige Ausrichtung, da die Gesamtkosten ab diesem Zeitpunkt über denen in einer nachhaltigen Immobilie liegen werden. Für die Immobilienwirtschaft und Investoren folgt daraus: Wer langfristigen Erfolg anstrebt, sollte so früh wie möglich auf energieeffiziente Bau- und Betriebskonzepte setzen.